(K)eine Datenstrategie für die Zivilgesellschaft

Die Datenstrategie der Bundesregierung ist da. Nachdem wir uns bei CorrelAid seit 2015 mit allem beschäftigen, was mit Datennutzung in der Zivilgesellschaft zu tun hat, nehmen Frie (COO) und Johannes (Vorstandsvorsitzender) die Strategie einmal aus dieser Perspektive unter die Lupe.

2021-02-01 | Frie & Johannes

(K)eine Datenstrategie für die Zivilgesellschaft

Photo by Isaac Smith on Unsplash

Zivilgesellschaft (mal wieder) nur eine Fußnote.

Die Datenstrategie ist sicherlich ein großer Fortschritt im Vergleich zu allem, was man bisher zum Thema datengetriebene Innovation in Deutschland gehört und gelesen hat. Sie ist klar strukturiert und macht statt abstrakten Absichtserklärungen tatsächlich konkrete Versprechungen, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Wie Netzpolitik.org bereits hier richtig erklärt: Wenn auch nur ein Teil der Maßnahmen so umgesetzt wird, dann wäre das ein “Quantensprung”. Leider sind die Prioritäten die bekannten: Innovation in Deutschland bedeutet, dass Spitzenforschung innovative Produkte entwickeln soll und Unternehmen diese dann erfolgreich machen. An diesen beiden Stellen werden tatsächlich auch gute Maßnahmen benannt: der Fokus liegt auf Infrastruktur und Datenqualität. Positiv ist auch die Perspektive auf Daten in der öffentlichen Verwaltung. Denn wenn es einen Hebel gibt, um mit Daten gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, führt kein Weg an einer Digitalisierung der deutschen Behörden vorbei. Das ist gerade in der Corona-Krise wieder schmerzlich bewusst geworden – und wer ist da eingesprungen? In vielen Bereichen engagierte Coder*innen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen. Letztere spielen in der Datenstrategie allerdings eine sehr untergeordnete Rolle. In Zahlen: 1,5 von 120 Seiten.

Eine kleine Revolution.

Auch wenn der Rolle der Zivilgesellschaft anscheinend nicht allzu viel Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt wurde, so ist doch eine kleine Revolution in der Datenstrategie versteckt. Seit 2015 plädieren wir mit CorrelAid für ein Umdenken in der Politik: “Nehmt zivilgesellschaftliche Organisationen als aktive Datennutzerinnen wahr und fördert das entsprechend”. Zu oft wurde die Rolle der Zivilgesellschaft als rein passiv eingeordnet: Prozesse bewerten, analysieren, begleiten. Aber Non-Profit-Organisationen können und wollen selbst Dateninfrastruktur aufbauen, datenbasierte Wirkungslogiken entwickeln, Daten aktiv nutzen. Auch wenn der Abschnitt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen kurz ist, so gehen die Maßnahmen doch in die richtige Richtung: NPOs befähigen und dabei unterstützen, das Potenzial von Daten aktiv zu nutzen. Das gibt uns Hoffnung, dass die Mission von CorrelAid so langsam durchdringt.

Es bleibt noch viel zu tun.

Die Datenstrategie bleibt trotzdem insgesamt ein bisschen uninspiriert und unambitioniert. Klar, Open Data und Dateninfrastruktur, die auch NPOs zur Verfügung stehen, sind ein guter Anfang. Daten müssen aber auch verarbeitet werden und Prozesse müssen implementiert werden. Die Wirtschaft hat die finanziellen Ressourcen und damit (zumindest theoretisch) Zugang zu den entsprechenden personellen Ressourcen. Zusätzlich mangelt es nicht an Förderungen für den privaten Sektor. Im Non-Profit-Sektor gibt es solche Förderungen nur sehr spärlich. So entsteht eine “Anwendungslücke”, die weder von der KI- noch von der Datenstrategie in irgendeiner Weise adressiert wird. Es gibt ja genug NPOs, die diese Lücke im gesamten digitalen Bereich schließen wollen und gerne bereit sind, die Politik dabei zu unterstützen. Bevor jetzt Parallelstrukturen aufgebaut werden sollen, sollten die bestehenden erst einmal gefördert und unterstützt werden. Daher sind wir auch sehr gespannt, wie sich das “Civic Data Lab” - welches “iterativ kollaborative Datenaustauschstrukturen im gemeinnützigen und gemeinwohlorientierten Sektor” schaffen sowie “Projektträgerinnen und Projektträger durch Hilfestellung bei der Erhebung, Aufbereitung und Analyse von Daten sowie bei der Vermittlung notwendiger Kompetenzen” (S. 47) unterstützen soll – in die seit Jahren gewachsenen zivilgesellschaftlichen Strukturen einfügen wird.

Bei allen Bekenntnissen zu “finanzieller und ideeller Förderung” (BMI) wird es am Ende jedoch hauptsächlich darauf ankommen, dass Politik und Verwaltung auf allen Ebenen zivilgesellschaftliche Organisationen und engagierte Individuen (z.B. aus der Open Source Szene) respektieren, ernst nehmen und sich aktiv einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe öffnen. Dass ein ehrenamtliches, zivilgesellschaftliches Projekt wie kleineanfragen.de primär wegen fehlender Kooperation von Verwaltungsseite aufgibt und nicht wegen fehlender finanzieller Förderung, darf in Zukunft nicht mehr passieren. Viele Stellen in der Datenstrategie zeigen, dass die Verantwortlichen verstanden haben, dass der Staat Nachholbedarf hat. Es wäre schön, wenn auch in Bezug auf Zivilgesellschaft sich die Einsicht einstellen würde, dass “den Staat zum Vorreiter machen” (Titel von Kapitel IV) bedeutet, existierende Strukturen wertzuschätzen, zu unterstützen und von ihnen zu lernen.

Fazit

Die Datenstrategie ist sowohl aus zivilgesellschaftlicher Sicht als auch aus unserer Sicht als Data Scientists sehr viel besser gelungen als die KI-Strategie. Andererseits bleibt der Teil zu Zivilgesellschaft nicht nur deprimierend kurz, sondern auch halbherzig: NPOs sollen zwar eine aktivere Rolle bei der Nutzung von Daten einnehmen, aber bitte erstmal nur ein bisschen. Eine Datenstrategie für die Zivilgesellschaft ist das daher sicherlich nicht. Abseits von Inhalten der Strategie sind wir gespannt, wie Politik und Verwaltung in Zukunft der Daten-Zivilgesellschaft begegnen werden: Unsere Email-Postfächer, Twitter DMs und Zoom Meetings sind offen – wir sind bereit.

Frie & Johannes

Frie & Johannes

Frie ist Gründungsmitglied von CorrelAid und kümmert sich seit Februar 2020 als hauptamtlicher COO um CorrelAids Data4Good-Projekte mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Johannes hatte 2015 die Idee für CorrelAid und ist seitdem Vorstandsvorsitzender.